Flucht

Veröffentlicht am 11.03.2022 in Ortsverein

Die Großmutter hat nie darüber gesprochen, und auch meiner Mutter fiel es lange schwer, darüber zu reden. Mit gerade mal 12 Jahren musste sie im Frühjahr 1945 vor Krieg und Zerstörung fliehen. Ohne ihren Vater, der im Krieg geblieben ist, musste sie mit den vier Geschwistern, der Jüngste gerade mal ein paar Wochen alt, und der eigenen Mutter die Flucht antreten. Mit einem Fahrrad und einem Bollerwagen, darin die jüngeren Geschwister und das Wenige, was man noch retten konnte, führte der Fluchtweg die junge Familie ausgerechnet durch die letzten Schlachtfelder des Weltkriegs. Wie durch ein Wunder gelang die lebensgefährliche Flucht über die Elbbrücke bei Tangermünde, die nur wenige Stunden danach gesprengt wurde. Wenn meine Mutter darüber gesprochen hat, dann konnte man den Schrecken und das Leid nur erahnen, aber hatte nie ein Bild vor Augen. Mit den Filmaufnahmen der jungen Mütter mit ihren Kindern, die dem Angriffskrieg des russischen Despoten entfliehen konnten, hat sich das geändert. Aus den Augen der ukrainischen Flüchtlinge kann man erahnen, was sie erlebt haben müssen. Und dabei hat dieser Krieg seine hässliche Fratze noch gar nicht ganz gezeigt. Wie mag es wohl denen gehen, die noch zwischen den Fronten eingeschlossen sind, mürbe von der allgegenwärtigen Angst, dem Hunger und der Kälte?

Beide Schicksale, das meiner Mutter und das der Menschen in der Ukraine, verbindet die Machtphantasie von geisteskranken Despoten. Sowohl Hitler, als auch Putin hatten eine schwierige Kindheit und erlebten den Zusammenbruch ihres Reiches, des Kaiserreichs und des Sowjetreichs. Beide empfanden die Demokratie als Zeit der Führungslosigkeit und der Armut. Beide fühlten sich in ihrem Geschichtsverständnis erkoren, ein großes und mächtiges Reich zu schaffen und autokratisch zu beherrschen. Und beide brachten Krieg, barbarische Zerstörung und Verfolgung über die Menschen.

Die Ereignisse in der Ukraine erinnern uns daran, dass Frieden, Freiheit und der Wohlstand nichts Selbstverständliches sind. Wir müssen sie unermüdlich gegen innere und äußere Feinde verteidigen, was wir die letzten Jahre leider vernachlässigt haben. Wir sind jetzt aus einem schönen Traum aufgewacht, und müssen leidvoll erkennen, dass der Nationalismus des 20. Jahrhunderts seine Gefährlichkeit nicht eingebüßt hat. Er arbeitet immer noch mit Lügen und Desinformation, und findet fatalerweise immer noch zahlreich Anhänger, die ihm auf den Leim gehen. Ob ein angeblicher Wahlbetrug, der die Menschen dazu bringt, ihr Kapitol zu stürmen, oder die angebliche Entnazifizierung der Ukraine mit ihrem jüdisch-stämmigen Präsidenten, es sind immer Lügen, auf denen alles beruht. Daher müssen wir gegenhalten. Wir sollten misstrauischer mit Informationen und Meinungen sein, nicht jedem Videoschnipsel aus dem Internet Glauben schenken. Wir dürfen uns von ihrer Propaganda nicht verleiten lassen, denn am Ende holt uns immer die Realität ein. Und wie die aussehen kann, können wir gerade jeden Tag live in den Medien miterleben.

Hartmut Schmidt

Vorsitzender SPD Beilstein

 

Kreisverband Heilbronn- Land

SPD Heilbronn-Land

Josip Juratovic (MdB)

https://www.josip-juratovic.de/